Montag, 17. November 2008

Ergebnisveröffentlichung der Forschungsgruppe Zöliakie des IJK Hannover

Das Internet ist für Zöliakie-Betroffene ein hilfreicher Ort: 91 Prozent der Betroffenen, die das Internet nutzen, sagen, es helfe ihnen im Umgang mit Zöliakie gut oder sehr gut. Wie ist es möglich, diese Unterstützungsleistung noch zu steigern? Was für ein Angebot muss es geben, um das Leben von hilfesuchenden Zöliakie-Betroffenen angenehmer zu gestalten?

Um auf diese Fragen eine Antwort zu finden, wurde im Seminar Medienentwicklung unter der Leitung von Prof. Dr. Carsten Winter und Dipl.-Medienwiss. Hannah Schmid am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung der Hochschule für Musik und Theater Hannover die Forschungsgruppe Zöliakie gegründet.

Die Vorstudien ergaben, dass Zöliakie-Betroffene bereits viele Möglichkeiten zum Austausch im Internet nutzen. In zahlreichen Foren, Blogs und anderen Medien tauschen sich Betroffene rege über ihre Fragen und Nöte aus. Das Web 2.0 als Mitmach-Web, hat diese Möglichkeiten zum Austausch vervielfacht und somit auch die Inhalte im Internet, die durch Nutzer selbst geschaffen werden (sog. User Generated Content). Im ersten Analyseschritt wurden die wichtigsten Beiträge über Zöliakie in User Generated Content analysiert. Das Ergebnis erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern diente zur Identifizierung zentraler Probleme von Zöliakie-Betroffenen.

Themen & Probleme
Für viele Zöliakie-Betroffene ist demnach Reisen ein großes Problem. Die Betroffenen sind sich oft unsicher, ob man in anderen Ländern in ähnlichem Maße glutenfreie Produkte beziehen kann, ob diese dort korrekt ausgezeichnet sind und ob man im schlimmsten Fall schnell ärztliche Hilfe finden kann. Des Weiteren stellt die Beschaffung verlässlicher Informationen zu Zöliakie viele Betroffene vor größere Schwierigkeiten. Viele Menschen kennen sich mit Zöliakie nur unzureichend aus; auch ein Großteil der Ärzte und Apotheker sind keine Experten auf diesem Gebiet. Ein entsprechend schweres Problem ist die wahrgenommene Inkompetenz von Ärzten und Ernährungsexperten, da die Betroffenen nur selten wissen, welcher Arzt sich wirklich auskennt und sie in der Vergangenheit häufig schlechte Erfahrungen mit Ärzten machen mussten. Schließlich ist das Suchen und Finden von Rezepten und lokalen Gastronomietipps für Betroffene problematisch.

Motive der Internetnutzung
Vor diesem Hintergrund ist auch die intensive Nutzung des Internets durch Zöliakie-Betroffene und Angehörige zu sehen: Wie die anschließend durchgeführte Online-Befragung ergab, verbringen sie durchschnittlich 123 Minuten täglich im Internet, was über dem bundesdeutschen Durchschnitt liegt. Es stellte sich heraus, dass zwei Drittel der Befragten gerne einen Arzt um Rat zu Zöliakie fragen würden, jedoch haben knapp die Hälfte schlechte oder sehr schlechte Erfahrungen bei einem Gespräch mit einem Mediziner gemacht. Gleichzeitig würden fast 90 Prozent der Befragten bei Problemen und Fragen im Zusammenhang mit Zöliakie gerne mit anderen Betroffenen reden. 67 Prozent geben an, dass ihnen andere Betroffene bei der Ratsuche bisher tatsächlich weiterhelfen konnten. Hier zeigt sich die Fähigkeit des Internets, Menschen auf der ganzen Welt zu vernetzen und so auch den Austausch zwischen Zöliakie-Betroffenen zu erleichtern.

Medienentwicklungen
Auf Basis dieser Erkenntnisse konnten nun nutzenstiftende Web 2.0-Online-Anwendungen für Zöliakie-Betroffene entwickelt werden. Nach einer Analyse der möglichen Anwendungen im Internet wurden die Online-Anwendungen Blog, Wiki und Geotagging ausgewählt und konkret folgende Medien konzipiert, um diese in der Online-Umfrage auf ihre Akzeptanz zu überprüfen:
  1. Forschungsblog: ausgewiesene Zöliakie-Experten bloggen über Zöliakie-spezifische Themen. Betroffene erhalten somit eine wertvolle Austauschmöglichkeit.
  2. GeoTagging: Betroffene verorten Informationen auf einer Karte und sorgen somit für die unmittelbare Auffindbarkeit wichtiger Anlaufstellen wie Ärzte, Einkaufstellen, Restaurants, etc.
  3. ReiseWiki: für Betroffene wichtige Informationen und Erfahrungen zum Reisen werden ausgetauscht.
Bewertungen & Akzeptanz
Die Bewertung der entwickelten Lösungsvorschläge fiel durchweg positiv aus: 37 Prozent der Befragten stimmen zu, dass es ein Problem darstellt, fundierte Informationen über Zöliakie in Erfahrung zu bringen. Hinsichtlich der Funktion der Anwendung Forschungs-Blog, also der Bereitstellung von fundierten Informationen, bewerten über zwei Drittel der Studienteilnehmer die Anwendung mit "gut" oder "sehr gut".

Das Problem, dass vertrauensvolle Ansprechpartner wie Ärzte und Diätberater, kompetente Lebensmittelverkäufer oder glutenfreie Restaurants gerade in der näheren Umgebung schwer zu finden und Kenntnisse über die Qualität der Angebote nur durch eigene Erfahrungen oder Gespräche mit anderen zu gewinnen sind, sehen 75 Prozent der Befragten. Den entsprechenden Lösungsvorschlag GeoTagging bewerten drei Viertel der Befragten als "gut" oder "sehr gut". Auch die persönliche Relevanz der Anwendung, bei der Nutzer Anlaufpunkte bewerten, und diese übersichtlich und interaktiv auf einer Karte darstellt werden, wird größtenteils mit "sehr gut" (32%) oder "gut" (48%) beurteilt.


Abb.: Bewertung der vorgestellten Web 2.0-Lösungen für Zöliakie Betroffene; Anteil der 290 Befragten in Prozent, welche mit "gut" oder "sehr gut" bewertet haben

Auch stimmen 79 Prozent der Befragten zu, dass Reisen mit Zöliakie problematisch ist. Das vorgeschlagene ReiseWiki als Lösung für dieses Problem wird von 85 Prozent mit "gut" oder "sehr gut" beurteilt. Den persönlichen Nutzen durch ein zentrales Teilen und Verwalten von Reiseerfahrungen mit Hilfe des ReiseWikis beurteilen 57 Prozent der Befragten mit "sehr gut" und 27 Prozent mit "gut".

Schlussfolgerungen
Die Medienentwicklungen der Forschungsgruppe Zöliakie sind in der Lage, den Zöliakie-Betroffenen jeweils einen spezifischen Nutzen zu bieten und so die Zöliakie-Community zu bereichern. Für alle drei Anwendungen gilt: Je mehr Menschen teilnehmen und gemeinsam mit diesen Anwendungen etwas erschaffen, desto höher steigt der Wert dieser Angebote für die Nutzer. Bei einer Umsetzung der Medienentwicklungen hätten es Zöliakie-Betroffene also endlich selbst in der Hand, etwas für ihre Gemeinschaft zu tun - noch nie zuvor gab es so viele Möglichkeiten zur direkten Selbsthilfe!

Die Forschungsgruppe Zöliakie möchte sich herzlich bei allen Teilnehmern und Unterstützern der Studie - speziell bei der Deutschen Zöliakie Gesellschaft - für das entgegengebrachte Vertrauen bedanken. Besonderer Dank gilt den Mitgliedern des Forums www.zoeliakie-treff.de, die zahlreich an der Umfrage teilgenommen und uns wertvolles Feedback gegeben haben. Für Feedback und weiterführende Fragen steht die Forschungsgruppe weiterhin jederzeit zur Verfügung - also geben Sie gerne Kommentare ab.

Mit vielen Grüßen,

Christopher Buschow, Andrea Chilf, Lukas Hartmann, Katja Kaufmann, André Luce, Frank Werthebach

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